"Frankreich nach der Vorausscheidung"
Das politische System Frankreichs, die Wahlen in Frankreich
und die möglichen Auswirkungen auf die EU
Am 4. Mai 2017, wenige Tage vor der Stichwahl der französischen Präsidentschaftswahlen zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen lud der Verein Wir Sind Europa gemeinsam mit der Vertretung des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission zu einer Diskussion zu "Frankreich nach der Vorausscheidung - Das politische System Frankreichs, die Wahlen in Frankreich und die möglichen Auswirkungen auf die EU“ lud der Verein Wir Sind Europa gemeinsam mit der Vertretung des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission ins Haus der Europäischen Union.
Nach der Begrüßung durch Achim Braun von der Vertretung der Europäischen Kommission in Wien und Moderator Hannes Heissl von Wir Sind Europa, erläuterte Thomas Angerer, Ass. Professor am Institut für Geschichte der Universität Wien, zum Einstieg das politische System Frankreichs, das sich u.a. durch hohe Erwartungen an den Präsidenten auszeichnet. Macron steht hierbei für Kontinuität, er war der gemäßigte Teil der Hollande-Politik, so Angerer. Le Pen kann und will dagegen ihre extremistischen Wurzeln nicht verleugnen. In einer weiteren Runde ging Angerer auf die politische Lage in Frankreich und das Problem des Rechtspopulismus als auch die Anbiederung an diesen ein. Zu seiner Wahlprognose befragt, meinte Angerer, dass es keine Frage wäre, dass Macron die Wahlen gewinnt, die einzige Frage wäre nur, ob er 60% überschreitet.
Der Direktor der Wiener Staatsoper, Dominique Meyer, kritisierte den langen Wahlprozess, v.a. nach dem wie in den USA Vorwahlen eingeführt wurden, für dessen Teilnahme man nicht einmal Parteimitglied sein muss, und die „Diktatur der Emotion“, die durch die vielen Umfragen entstehe. Bemerkenswert sei auch, dass Macron und Jean-Luc Mélenchon beide nicht für eine der „Großparteien“, sondern mit eigens von ihnen gegründeten Parteien bei den Präsidentschaftswahlen antraten. Meyer zeigte sich als glühender Europäer. Zum „Pärchen“ Deutschland/Frankreich meinte er, dass auch bei unterschiedlichen Regierungen ihre Priorität immer das Vorantreiben der EU war. Ein Problem sei allerdings, dass ein Arbeitsloser in verwahrlosten Vororten wenig davon hat, dass man ohne Reisepass über die Grenzen kommt und überall die gleichen Münzen verwendet. Während Le Pen einfach „ahnungslos“ sei, warf er Mélenchon Zynismus vor („er weiß, dass seine Vorschläge das Land ruinieren würden“), der am Schlimmsten sei. Meyer ging dann noch auf seine eigene Erfahrung in der Politik ein, und dass er letztlich seine Arbeit in der Politik aufgegeben hat, weil sie „sehr böse geworden“ ist.
Susanne Bastaroli von der Tageszeitung „Die Presse“ äußerte sich positiv zum interessanten „Phänomen Macron“. Er habe das Zentrum wiederbelebt und einen optimistischeren, pro-europäischen Diskurs geschaffen – und das in einem pessimistischen Land (80% misstrauen den Institutionen). Macron erinnere sie an den frühen Matteo Renzi, der sich als Outsider darstellt, der das System reformieren, aber nicht zerstören will. Sie verwies auch auf den Unterschied zwischen Europhobie und Euroskepsis. Bastaroli verwies auch auf einen wichtigen Aspekt der Krise der Demokratie: dass bestimmte Schichten etablierte Medien nicht mehr Ernst nehmen, da diese als Teil des abgelehnten Systems gesehen werden.
ORF-Journalist Lucien Giordani sprach auch über die EU-Sicht der Le Pen-Wählerschaft, der egal ist, dass Le Pen bei den TV-Diskussionen den Eindruck erweckt hat, dass sie sich bei EU-Fragen nicht auskennt. Die Le Pen-Wähler/innen sind nicht unbedingt für einen EU-Austritt, sondern der Meinung, dass sie bei einem allfälligen Referendum immer noch mit „nein“ stimmen können. Die Wähler/innen seien von Hollande enttäuscht, die Steuerlast und Sozialabgaben seien enorm, führte Giordani aus. Daher werden etablierte Politiker/innen abgewählt. Er selbst habe Probleme, Macron zu wählen, aber „werde die Krot‘ schlucken“ müssen. Viele werden aber nicht zur Wahl gehen, weil sie keinen der beiden wählen wollen. Macron, der Versprechen gemacht hat, die er nicht wird halten können, wird die Wahl gewinnen, aber knapp, so Giordanis Prognose.
Angelika Mlinar, Abgeordnete zum Europäischen Parlament (ALDE) stellte einen Vergleich zu den österreichischen Präsidentschaftswahlen an. Zu den Wahlen in Frankreich meinte sie, dass das Ergebnis auch davon abhängen werde, wer zur Wahl geht und wer nicht, wie dies auch beim „Brexit“-Referendum der Fall war. Für die EU war die „Horrorvision“ Le Pen und Mélenchon in der Stichwahl, daher sehe sie nun einen Lichtblick für Europa.
Frédéric Vilain, Partner bei PwC und Vertreter der Österreichisch-Französischen Vereinigung sieht als ein großes Problem Frankreichs, dass der Reformwille fehlt, da Frankreich ohnehin „too big to fail“ sei. Vilain sprach auch über die Unternehmens- und Steuerpolitik und sprach sich für eine europäische Vereinheitlichung aus.
Die Publikumsdiskussion verlief angeregt und hatte eine breite Themenpalette zum Inhalt: Die Fragen reichten von einem Plan der EU für einen etwaigen Sieg von Le Pen über das Sozialsystem (35-Stunden-Woche, Pensionsalter) bis hin zum Mediensystem und den Kosten, die durch einen Euro-Austritt entstehen würden.
Die Podiumsgäste waren sich, so pessimistisch sie bei anderen Themen auch waren, bei einem Punkt einig: Macron wird die Wahl gewinnen.
Bericht: Nadja Wozonig, Wir Sind Europa
Weitere Fotos von der Veranstaltung:
https://www.flickr.com/photos/125657602@N07/albums/72157680293984853