Der Europäische Landbote

Robert Menasse, Zsolnay Verlag,  2012

110 Seiten,  ISBN 9783552056169

 

Der Schriftsteller und Essayist Robert Menasse fuhr nach Brüssel und mietete sich eine Wohnung, denn er wollte einen Roman über die "Eurokraten" schreiben, herausgekommen ist bislang ein Essay über das postnationale Europa. Menasse nimmt sich die Freiheit des Intellektuellen und kommt zum Schluss: "Das Problem der EU ist, dass sie [...] zu wenig Kompetenzen hat, nicht zu  viele, und schuld sind die, die wir wählen dürfen: die nationalen Regierungen".

 

Er hatte viele Gespräche mit KommissionsbeamtInnen und lernte diese schätzen: "Man muss sich einmal von den BeamtInnen erzählen lassen, wie es ist, wenn man etwa seit Jahren an Konzepten zur Bewältigung der Haushaltskrise arbeitet und zuschauen muss, wie diese regelmäßig von den Regierungschefs im Rat zurückgeschickt werden, damit diese zu Hause ihren Wählern berichten können, was sie alles zur Verteidigung "nationaler Interessen" gegen die "böse EU" durchgesetzt, bzw. [....] verhindert haben".

 

Deshalb ist es  nicht erstaunlich, dass der Rat (und zwar sowohl der Fachminister als auch der Staats- und Regierungschefs) Menasses Lieblingszielscheibe darstellet: "Der Rat muß weg! Ersatzlos".

 

In seiner Kritik der nationalen Identität ist Menasse gnadenlos. Er löchert eine deutsche Journalistin so lange mit der Frage, was so typisch deutsch sei, bis diese beim deutschen Brot landet. Überhaupt geht Menasse mit unseren deutschen Nachbarn sehr harsch um: "Als die deutschen Banken krachten, machte Frau Merkel ohne viel Federlesens 400 Milliarden € locker, aber bei der selbst mitverschuldeten Stabilitätskrise der europäischen Währung, konnte sich Frau Merkel wochenlang nicht dazu durchringen, ihre Zustimmung zu einem Rettungspaket zu geben. Sie blockierte also eine europapolitisch eminent wichtige Entscheidung wegen einer deutschen Provinzwahl, und als die Wahlen in Nordrhein-Westfalen endlich geschlagen waren, verknüpfte sie die Hilfe für Griechenland mit deutschen Rüstungsgeschäften."

 

Menasse spricht die unangenehmen Wahrheiten, die sowohl PolitkerInnen als auch JournalstInnen nicht zu hinterfragen wagen, deutlich aus. Sehr deutlich. Der Europäische Landbote bietet viele interessante Einsichten und Anregungen, über die EU und ihre Zukunft einmal ernsthaft nachzudenken. Pflichtlektüre für alle, denen der europäische Einigungsprozess nicht gleichgültig ist.

 

Margareta Stubenrauch, 12. Jänner 2013